Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) spielen in Europa eine immer größere Rolle. Rund 50 Prozent der europäischen Bürger nutzen sie bereits, in Deutschland ist die Zustimmung noch höher. Vom 22. bis 25. Mai wird ein neues europäisches Parlament gewählt. 751 Sitze sind zu besetzen, mit 96 Abgeordneten hat Deutschland die meisten Sitze im Parlament. Diese Wahl nehmen wir zum Anlass nachzufragen, wie die aktuelle Situation der Komplementärmedizin in Europa aussieht und mit welchen Zielen die CAM-Verbände in Brüssel arbeiten. Fragen, die wir Dr. Ton Nicolai, Allgemeinarzt und Homöopath aus Rotterdam, Niederlande, gestellt haben. Nicolai ist Koordinator und Sprecher von EuroCAM, einer Initiative, zu der sich verschiedene Verbände aus der Komplementärmedizin auf europäischer Ebene zusammengeschlossen haben. Ton Nicolai war zuvor viele Jahre Präsident des European Committee for Homeopathy (ECH) und gilt als der Experte auf diesem Gebiet.
Welche Rolle spielt die Gesundheitspolitik bei dieser Europawahl? Die Gesundheit der Bürger ist eine Kernaufgabe der Europäischen Union. Die Hauptziele der EU-Gesundheitspolitik sind Krankheitsprävention, Förderung gesünderer Lebensstile und Wohlbefinden, Verbesserung des Zugangs zu medizinischer Versorgung, Förderung von Gesundheitsinformationen und Bildung, Verbesserung der Patientensicherheit, Gewährleistung der hohen Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln und medizinischen Geräten. Da CAM einen wesentlichen Beitrag in vielen dieser Bereiche leisten kann, ist es wichtig, dass die CAM-Community in den Mitgliedstaaten die Politiker kontaktiert, die CAM befürworten. EUROCAM hat daher eine Stellungnahme veröffentlicht und die nationalen CAM-Verbände gebeten, sie an diese Politiker mit der Bitte um Unterstützung zu senden.
Nachdem Sie viele Jahre Präsident des ECH waren, engagieren Sie sich nun in komplementärmedizinischen Bündnissen. Gemeinsam sind die Verbände in der politischen Arbeit stärker, was sind Ihre Ziele? Die Sensibilisierung der Politiker dafür, was CAM zur Gesundheit der europäischen Bürger beitragen kann, ist die oberste Priorität: Intensivierung des Netzwerkes mit Politikern und Entscheidungsträgern und dafür zu sorgen, dass CAM als Teil des Systems gilt. Was wir wollen, ist die Einbeziehung von CAM in jede relevante Konferenz und jedes EU-Dokument mit Bezug zu Gesundheit. Der EU-Gipfel zu „Chronische Krankheiten” am 3. und 4. April in Brüss el ist ein Beispiel dafür. Die Organisatoren hatten von sich aus keinen Redner der CAM-Verbände hierzu eingeladen. Wir, EUROCAM, mussten aktiv werden und haben den für Gesundheit zuständigen EU-Kommissar Tonio Borg und die Generaldirektorin für Gesundheit und Verbraucherschutz Paola Testori Coggi kontaktiert, um sicherzustellen, dass wir mit einb ezogen werden. Professor Benno Brinkhaus von der Berliner Charité ist nun der von uns gestellte Sprecher bei dieser Veranstaltung. Bei dem von EUROCAM organisierten Treffen der CAM-Interessengruppe im Europäischen Parlament präsentieren wir unsere Positionen und informieren die EU-Abgeordneten (MEPs). So werden wir am 1. April zum Thema Antibiotika -resistenz komplementärmedizinische Alternativen vorstellen. Zwei Referenten aus dem Bereich der Homöopathie werden Stellung beziehen (siehe Statement von P rof. Dr. Michael Frass im Anschluss an dieses Interview).
Am 1. April veranstalten Sie gemeinsam mit Abgeordneten des europäischen Parlaments ein Symposium in Brüssel zum Thema Antibiotikaresistenz. Welche Lösung hat die Homöopathie für dieses Problem? Wie wir alle wissen, führt Missbrauch und übermäßige Nutzung von Antibiotika zur Entstehung antibiotikaresistenter Keime. Homöopathie kann Patienten mit jeder Art von Infektionen und entzündlichen Erkrankungen, sowohl bei Menschen als auch Tieren, effektiv behandeln. Auf diese Weise kann der Einsatz von Antibiotika auf sehr schwere Fälle beschränkt werden.
Die Homöopathie ist in den europäischen Staaten unterschiedlich stark vertreten, welches sind die drei wichtigsten Länder? Was Rechtsvorschriften, Ausbildungsstandards, die Eingliederung in die nationalen Versicherungssysteme und Verfügbarkeit von homöopathischen Arzneimitteln betrifft, sind meiner Meinung nach Deutschland, Schweiz und Österreich die drei wichtigsten Länder in Europa.
Das ECH hat die Normierung der europäischen ärztlichen Homöopathie (CEN-Projekt) initiiert. Wie ist Ihre persönliche Meinung dazu? Im Moment ist das CEN-Verfahren der effektivste Schritt auf unserem Weg hin zu einer Anerkennung unseres Berufes in ganz Europa und zur gegenseitigen Anerkennung von Qualifikationen. Auch die Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz hat CAM-Berufsvertreten diesen Weg empfohlen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollten diese Qualifikationen in die Europäische Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen aufgenommen werden.